Praxis für Psychotherapie - Biberach
Ute Brintzinger

4.1 Der Kontaktprozeß

Kontakt bedeutet, daß ein Mensch mit etwas in Berührung kommt. Hier interessiert vor allem der Kontakt zu anderen Menschen. Kontakt geschieht an der Grenze zwischen zwei Menschen. Dies ist die Kontaktgrenze. Sie „begrenzt den Organismus, umfängt und schützt ihn und berührt zu gleicher Zeit die Umwelt“ (Perls et al. 1997). Dies setzt voraus, daß zwei Menschen zwei wirklich voneinan­der getrennte Wesen sind, die erst durch den Kontakt miteinander in Berührung kommen. Bei gutem Kontakt im Sinne der Gestalttherapie ist die Wahrnehmung der eigenen Person und die Wahrnehmung des anderen gleichzeitig vorhanden. In der Konfluenz ist kein Kontakt mehr da. Deshalb wird („neurotische“) Konfluenz auch als Kontaktvermeidung bezeichnet. „Der Mensch, in dem die Konfluenz pathologisch ist, kann weder sagen, was er ist, noch was andere sind. Er weiß nicht, wo er aufhört und wo andere anfangen“ (Perls 1992). Das Gegenteil von Konfluenz ist die Isolation. Auch hier ist kein Kontakt da. Zwei Menschen bleiben getrennt voneinander. Es gibt keine Berührung zwischen ihnen.

Kontakt kann niemals etwas Statisches sein. Das heißt, der Kontakt ist nichts, was man ein für allemal erreicht und dann endgültig hat. Kontakt ist ein Prozeß von Verbindung und Trennung. In diesem Prozeß wird zwangsläufig etwas zerstört. Etwas neues entsteht dafür. So ist Kontakt ohne Aggression, was wörtlich „heran­gehen“ bedeutet, undenkbar. Wenn ich ans Essen herangehe, muß ich es erst zerstören, indem ich es kleinbeiße und zermalme. Das Essen ist hinterher zerstört, dafür bin ich gestärkt. Wenn ich an andere Menschen herangehe, zerstöre ich auch etwas. Ich zerstöre das Alleinsein – mein eigenes Alleinsein und das des anderen. Oftmals, zumindest wenn ich mich ganz auf den anderen einlasse, zer­störe ich auch mein Bild vom anderen, vielleicht auch sein Bild von mir oder gar mein eigenes Bild von mir.

Diese Hinwendung zum und Loslösung vom anderen läuft in mehreren Phasen ab. Dreitzel (1998) unterscheidet vier Stadien des Kontaktprozesses. Im Vorkontakt entsteht ein Bedürfnis. „Ein Bedürfnis regt sich im Organismus oder wird durch einen Umwelt-Reiz stimuliert...Der Organismus spürt spontan, daß ein Bedürfnis vorliegt und gegebenenfalls, welches von mehreren Bedürfnissen vorrangig befrie­digt werden will.“ Im zwischenmenschlichen Bereich kann das heißen, daß jemand beginnt, sich für einen anderen Menschen zu interessieren. Als zweites kommt das Stadium der Orientierung und Umgestaltung. Hier wenden wir uns dem anderen zu. Der Kontakt bekommt etwas Zupackendes. Dreitzel schreibt hierzu: „Jetzt tritt das Bedürfnis in den Hintergrund des Erlebens...Sinnliche und kognitive Orientie­rung gehen Hand in Hand mit motorischer Hinwendung und zupackender Gestal­tung.“ Der Höhepunkt des Kontaktprozesses ist die Integration. Das ist der Moment, in dem man für kurze Zeit in einer gesunden Konfluenz ist. Die Energie ist jetzt am größten, andere Dinge, die außerhalb des Kontaktes sind, werden nicht wahrgenommen. Oder wie Dreitzel es ausdrückt: „Das Du meines Gegenübers erfüllt mein ganzes Erleben.“ Das letzte Stadium ist der Nachkontakt. Wir lösen uns wieder von einander und jeder spürt sich selbst wieder als getrennt vom anderen. Wenn zwei Menschen nach befriedigendem Kontakt auseinander gehen, würdigen sie ihr gemeinsames Erlebnis und verabschieden sich. So wird der Kontakt abge­rundet und jeder wird, wenn der Abschied vollzogen ist, allmählich wieder offen für Neues.

Der Kontaktprozeß ist daher auch ein Prozeß der Gestaltbildung. Auch hier geht es darum, etwas, wenn es einmal in Gang gekommen ist, wieder zur vollständigen Gestalt zu schließen. In der Therapie geht es dann darum, die Unterbrechungen des Kontaktes aufzuspüren und bewußt zu erleben, um so die Voraussetzung zu schaffen, daß der Kontaktprozeß in allen Stadien durchlaufen werden kann. Von daher finden sich im Kontaktprozeß auch das ganzheitliche Denken und die Ten­denz zur guten Gestalt wieder. Und auch hier kommt die Regel, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile, zum Tragen: So ist ein Dialog mehr als die Aufeinanderfolge von zwei Monologen.

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